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Nischen als Chance im Online-Markt

Viele klassische Akzidenzdrucker spielen mit dem Gedanken, in den Drucksachen-Onlinemarkt einzusteigen. Wir haben uns mit einem erfahrenen Pionier in diesem Bereich über die entsprechenden Chancen und Risiken unterhalten.
PUBLISHER: Wie unsere Übersicht zeigt, ist der Markt der Drucksachen-Webshops mit etablierten Portalen schon gut besetzt. Ist es für eine klassische Druckerei lohnend, jetzt noch auf diesen Zug aufzuspringen?

Steffen Winter: Es ist schon so, dass bei den Standardprodukten die Positionen bezogen sind und gerade die internationalen Player mit ihrer hohen Automatisierung ein brutales Preisniveau vorgeben. Und doch sollte man sich von den Grossen nicht blenden beziehungsweise abschrecken lassen. Jede Druckerei hat ihre Stärke in einem speziellen Bereich. Und daraus ergeben sich Marktnischen als Chance.Das können zum Beispiel Schreibtisch-Unterlagen in speziellen Formen sein oder sonst eine Spezialität, die als Nische für eine kleine Druckerei genügend Volumen verspricht. Viele Geschäfts-Chancen eröffnet auch die aktuelle LFP-Technologie im Bereich Decor-Druck: Von Tapeten bis Tischplatten lässt sich damit alles bedrucken. Aber in jedem Fall gilt: Das Angebot muss vermarktet werden – von alleine bewegt sich gar nichts!

Was sind die Voraussetzungen, um diese Chancen erfolgreich nutzen zu können?

Es braucht zuerst einmal den Mut, aus dem Schatten der Marktführer herauszutreten. Man sollte sich auf seine eigenen Stärken besinnen und sich auf zwei bis drei Produkte fokussieren, die man mit der bestehenden Infrastruktur effizient produzieren kann. Ich habe als Berater noch nie ein Unternehmen getroffen, dass nicht das Potenzial dazu hatte!

Zur Abrundung beziehungsweise Ergänzung des Angebotes kann man zusätzliche Produkte als Reseller mit ins Angebot nehmen und diese selbst produzieren, wenn genügend Volumen da ist. Ein Ansatz kann es auch sein, mit den bestehenden Kunden im Rahmen eines geschlossenen B2B-Portals zu starten und das B2C-Geschäft parallel aufzubauen. Zentral ist in jeden Fall ein gutes Portal, das logisch aufgebaut und intuitiv zu bedienen ist.

Wie kommt eine Druckerei zu dieser guten Portal-Lösung? Gerade dieser Bereich dürfte ja für die meisten Neuland sein.

Dies ist tatsächlich der kritische Punkt und ein zentraler Teil der Beratung, wenn ich Druckereien begleite. Wichtig ist vor allem, dass man das Portal und das Shop-System dahinter nicht isoliert betrachtet, sondern von Anfang an als Teil des ganzen Workflows richtig aufgleist. Bei der Portal-Software kann man entweder auf eine Eigenentwicklung oder auf eine Software ab Stange setzen. Es gilt von Fall zu Fall abzuwiegen, welches der bessere Weg ist.

Mit welchen Kosten muss man dabei rechnen?

Es gibt den kostenlosen Magento-Shop, bei dem nur Investitionen für die Anpassung an die eigenen Bedürfnisse anfallen. Wenn sich diese im Rahmen halten, kann man also günstig einsteigen. Generell muss man für ein Portal mit Kosten zwischen 15 000 und 60 000 Euro rechnen. Wenn man die ganzen Prozesse automatisieren will, sind Schnittstellen zum bestehenden MIS-System unabdingbar. Da können die Kosten rasch über 150 000 Euro zu liegen kommen!

Was sind die grössten Gefahren beim Einstig in dieses Geschäft?

Eine Akzidenzdruckerei, die ins Onlinedruck-Geschäft einsteigen möchte, verfügt naturgemäss noch kaum über Know-how in diesem Bereich. Da ist die Gefahr von Fehlinvestitionen gross. Wichtig ist es, nicht alles aufs Mal zu wollen, sondern das Projekt Schritt für Schritt voranzutreiben.

Eine Problem, dem sich jede Druckerei stellen muss, die neu in den Online-Markt einsteigt, ist das der Kanibalisierung des bisherigen Geschäftes. Es stellt sich die Frage, ob man nun den bisherigen Kunden auch die tiefen Preise des Portals anbieten muss.

Und die Antwort lautet?

Man sollte klar zwischen Portal und Akzidenz unterscheiden und die Kunden informieren, dass es jetzt gewisse Produkte günstiger im Portal gibt, aber nur, wenn man sie über diesen Weg bestellt!

Was sind weitere Stolpersteine?

Das digitale Datenhandling wird oft unterschätzt. Man muss über Mitarbeiter mit entsprechendem Know-how verfügen, um erfolgreich starten zu können. Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass bei den tiefen Preisen bezüglich Kunden-Support nicht viel drin liegt. Es braucht also zwingend ein gutes Reklamations-Management mit klaren Richtlinien, wo man dem Kunden entgegenkommt und wo nicht. Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass es sich lohnt, bei Erstkunden sehr kulant zu sein. Hier sollte man sich nicht scheuen, den nötigen Support zu leisten und dem Kunden zu erklären, wie man die Daten korrekt aufbereitet. So schafft man Kundenbindung und da der Kunde etwas gelernt hat, werden seine künftigen Aufträge den Prozess schlank und problemlos durchlaufen.

Was sind konkret die häufigsten Probleme bei der Datenaufbereitung?

Wenn der Workflow des Druckdienstleisters nicht auf dem aktuellen Stand oder nicht richtig konfiguriert ist, können Schriften massive Probleme verursachen. Man muss sich bewusst sein, dass zum Beispiel im Falle von Visitenkarten über 100 Kunden-PDFs auf der gleichen Druckform platziert sind. Da kann es vorkommen, dass eine korrupte Schrift in einem PDF ein anderes PDF, das einen gleichnamigen Font verwendet, «abschiesst»! Um jegliches Risiko mit Schriften auszuschliessen, empfehle ich, diese immer in Pfade umzuwandeln. Am besten macht das schon der Kunde.

Ein weiteres Problem sind mit Office-Programmen erzeugte Druckvorlagen. Meine Empfehlung dazu kurz und bündig: Hände weg!n

Interview: Martin Spaar

Steffen Winter

Steffen Winter ist Gründer und Inhaber der Firma «beeindruckend», die Schulung und prozessbegleitende Beratung für die Druckindustrie anbietet, speziell im Bereich von Drucksachen-Webshops. Er ist ausgebildeter Mediengestalter Digital & Print. Als Leiter des Qualitätsmanagements sowie als Schulungs- und Projektleiter war er sieben Jahre beim Portal Flyeralarm.de tätig, einem der grössten Online-Druckportal Europas.

www.beeindruckend-print.de

Günstig kann auch teuer werden!

Das obige Motto stellt Steffen Winter seinem Buch «OnlinePrint für alle» voran, und weist damit auf die vielen Stolpersteine hin, für die er Lösungsansätze bieten will. Winter wendet sich dabei sowohl an Kunden ohne grafisches Know-how, als auch an Mitarbeiter von Druckportalen, die mit Problemdateien und Anfragen von Kunden zu tun haben. Grossen Wert legt Winter dabei auf das Vermitteln von grafischem Basiswissen, das Know-how zum korrekten Anlegen und Prüfen von Printdokumenten mit InDesign und Acrobat sowie auf Strategien zum Vermeiden der potenziell häufigsten Reklamationen.

Steffen Winter: OnlinePrint für alle. 120 Seiten, CHF 34.90. Erhältlich bei www.publisher.ch/shop